Verbraucher hinterfragen Produkte heute kritischer: Wie die Nachfrage nachFairtrade-Kaffee steigt die nach fairen Geräten. Viele Konsumenten möchten wissen, ob zum Beispiel ihr Smartphone aus „konfliktfreien“ Rohstoffen hergestellt ist. Die neue EU-Verordnung zu Konfliktmineralien nimmt sich dieses Problems an. EU-Importeure haben rechtliche Regelungen zu erfüllen, wenn sie Rohstoffe aus Konflikt- und Hochrisikogebieten nach Europa bringen. Für Verbraucher gibt es dennoch einige offene Fragen.
01.09.2020
Rohstoffe – ab sofort konfliktfrei?
Was sind Konfliktrohstoffe?
Natürliche Minerale und Metalle kommen in vielen Produkten vor – sei es Zinn fürelektronische Baugruppen oder Gold als Schmuck. Die Herkunft der Materialien wirft jedoch teils Kontroversen auf. Denn gerade in Konfliktregionen sind Arbeits-und Lebensbedingungen sowie Umweltbelange alles andere als fair: Menschenrechtsverletzungen, Raubbau und militärische Auseinandersetzungen bedrohen dort Einheimische und ihre Umwelt.
Der Abbau der Rohstoffe geschieht nicht selten illegal und unter Einsatz von Zwangsarbeitern. Mit dem Erlös aus dem Verkauf finanzieren mancherorts Milizen und Rebellen ihre Kämpfe. Werden Rohstoffe unter derartigen Zuständen gewonnen, ist von Konfliktmineralien die Rede: Dazu gehören Zinn, Tantal, Wolfram sowie deren Erze und Gold.
Woher kommen die fragwürdigen Rohstoffe?
Tödliche Konflikte bereiten schon seit längerer Zeit den Menschen im Osten der Demokratischen Republik Kongo große Schwierigkeiten. Das afrikanische Land ist reich an Rohstoffminen – die zum Teil in die erbitterten Kämpfe verwickelt sind.Minerale aus dem Kongo sind jedoch auch essenziell für europäische Hersteller. Die Elektronikindustrie und andere Branchen benötigen sie als Bestandteile zurProduktion verschiedenster Erzeugnisse: von Mikroprozessoren für Computer bishin zu medizinischen Hightech-Geräten. Konfliktmineralien stellen fürProduzenten nicht mehr länger nur ein Imageproblem dar. Künftig unterliegen sie zudem rechtlichen Regelungen.
Was besagt die neue EU-Verordnung zu Konfliktmineralien?
Konfliktherde weltweit eindämmen und eine verantwortungsvolle Beschaffungspraxis für EU-Importeure von Rohstoffen fördern – diese Ziele verfolgt die Europäische Union mit der Verordnung (EU) 2017/821. Die EU-Verordnung wurde bereits am 19. Mai 2017 erlassen und gilt zu großen Teilen seit Juni desselben Jahres.
Neu ab dem 1. Januar 2021 ist die Einhaltung der Sorgfalts- und Offenlegungspflichten, die in Artikeln 3 Abs. 1 und 2, 4 bis 7 geregelt sind:
- EU-Importeure von Metallen und Mineralien müssen die Sorgfaltspflichten in der Lieferkette einhalten und die Erfüllung diesernachweisen.
- Sie sind außerdem dazu verpflichtet, dafür ein internes Managementsystem einzurichten.
- Risikomanagementpflichten sollen die Identifikation von Risiken schädlicher Auswirkungen in der Lieferkette ermöglichen.
- Die EU-Importeure unterliegen der Pflicht, Prüfungen durch unabhängige Dritte durchzuführen.
- Die Offenlegungspflicht schreibt vor, dass Unternehmen den Behörden der Mitgliedsstaaten Bericht über die Prüfungen erstatten müssen.
Was bedeuten die Sorgfaltspflichten?
Europäische Unternehmen unterliegen der Sorgfaltspflicht und tragen damit Verantwortung für ihre Lieferketten: Sie müssen gewährleisten, dass der Import ihrer Rohstoffe weder Menschrechtsverletzungen begünstigt noch Kampfhandlungen finanziert. Die EU-Verordnung zielt nicht darauf ab, den Import von Rohstoffen aus Konflikt- und Hochrisikogebieten grundsätzlich zu verbieten. Vielmehr geht es darum, den Handel mit Mineralen und Metallen aus diesenRegionen verantwortungsbewusster, fairer und nachhaltiger zu gestalten.
In ihren Grundsätzen entspricht die Verordnung der OECD-Richtlinie zum Thema.Dieser Leitfaden gilt zwar für alle Rohstoffe und schließt die gesamte Lieferkette bis zum fertigen Produkt ein – das Regelwerk ist aber nur freiwillig. Die EU-Verordnung ist dagegen das erste rechtlich verpflichtende Gesetz.
Tipp
Warum gibt es Kritik an der EU-Verordnung?
Die beschlossene Verordnung soll eine verantwortungsvolle Handelsstrategiefördern, stößt in der Praxis in einigen Punkten allerdings schnell an ihre Grenzen:
- Die Regelung bezieht sich nur auf Erze und Konzentrate, die aus Zinn, Tantal oder Wolfram bestehen, sowie auf Gold. Viele andere Rohstoffebleiben bislang unberücksichtigt, obwohl ihre Verwendung künftig an Bedeutung gewinnen dürfte. Umweltschützer nennen hier Lithium und Kobalt, die ebenfalls aus dem Ostkongo stammen.
- Die Verordnung greift erst ab bestimmten Mengenschwellen, die in Anhang I festgelegt sind.
- Welche Länder konkret zu Konflikt- und Hochrisikogebieten gehören, ist nicht ganz eindeutig. Laut Verordnung sind darunter Regionen zuverstehen, in denen bewaffnete Konflikte herrschen bzw. die sich infolgevon Konflikten in einer fragilen Situation befinden. Außerdem sind Gebiete mit schwacher oder nicht vorhandener Staatsführung und Sicherheit inbegriffen. Eine Liste an betroffenen Regionen ist jedoch nicht verfügbar.
- In vielen Fällen ist nicht die gesamte Lieferkette von der Verordnung abgedeckt. Ausschließlich größere Hersteller sind dazu verpflichtet, ihreSorgfaltspflicht bereits ab der Rohstoffquelle zu erfüllen.
- Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen kritisieren zudem die fehlende Transparenz. Für Verbraucher ist nicht klar, welche Unternehmen die EU-Verordnung betrifft. Eine öffentliche Nennung der Importeure, dieunter das Gesetz fallen, sieht die Verordnung nicht vor. Da zum Beispielder Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) den Regelentwurf zuvordeutlich angegriffen hat, bestehen Zweifel, ob sich alle an die Richtliniehalten werden.
Wie gehen andere Staaten mit dem Problem um?
Die Europäische Union ist mit ihrem Vorstoß nicht allein. Eine ähnliche Initiativehat die US-Politik im Jahr 2010 mit dem Dodd-Frank Act Section 1502 (Conflict Minerals Act) ins Leben gerufen. An der US-Börse notierte Unternehmen müssen offenlegen, wenn sie Konfliktmineralien verwenden. Von dieser Offenlegungspflicht sind dann auch alle anderen Beteiligten entlang der Lieferkette betroffen. Unternehmen sind in diesem Fall dazu verpflichtet, einen Bericht zu erstellen, der ihre Sorgfaltspflicht demonstriert. Der Dodd-Frank Act gilt jedoch nicht weltweit, sondern ist auf die Demokratische Republik Kongo sowie ihreNachbarländer beschränkt.
Wie gelingt die Umsetzung bislang?
Die EU-Verordnung bringt keine wirklichen Neuerungen: Es gibt diverseZertifizierungssysteme auf freiwilliger Basis, die Unternehmen derzeit nutzenkönnen. Gesetzlich verpflichtet sind sie zur Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten erst ab dem 1. Januar 2021. Bis dahin haben EU-Importeure Zeit, die Umsetzung zu realisieren. Bis zum 1. Januar 2023 soll die Wirksamkeit des Gesetzes überprüft werden, danach alle drei Jahre.
Die EU und die USA besitzen eine große Marktmacht. Deshalb ist zu erwarten,dass der Druck auf Importeure und Händler von Rohstoffen steigen wird. WennHersteller eine lückenlose Aufklärung der Lieferkette fordern, können sie sich dem kaum mehr entziehen. Trotzdem ist es nicht immer einfach, die Quelle der Rohstoffe nachzuweisen und genau zu überprüfen. Der Dodd-Frank Act hat hierschon Vorarbeit geleistet und Initiativen vor Ort geschaffen. Davon braucht es für die Zukunft sicherlich noch mehr, insbesondere in anderen Konfliktregionen außerhalb des Ostkongos.
Für Endverbraucher ist es nach wie vor schwierig zu erkennen, ob ein Produkt tatsächlich „konfliktfrei“ hergestellt wurde. In vielen Elektronikgeräten etwa sind Hunderte von Komponenten verbaut. Rohstoffe durchlaufen eine Reihe an Wertschöpfungsstufen, bevor sie beim Gerätehersteller ankommen. Konsumenten sollten daher nicht erwarten, dass die EU-Verordnung hundertprozentige Sicherheit bietet. Sie stellt aber immerhin einen wichtigen Anfang dar, um einenverantwortungsvollen Rohstoffabbau zu stärken.