Seit Jahrzehnten wird weltweit zur Kernfusion geforscht. Kein Wunder, denn die komplexe Technik könnte die Energieprobleme der Menschheit auf saubere und sichere Art lösen. Jüngste Forschungserfolge machen Hoffnung – doch der Weg ist noch weit.
12.07.2022
Kernfusion?
Die globale Nachfrage nach klimaneutraler Energie ist hoch – und wächst rasant weiter: Im Kampf gegen den Klimawandel und zur Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern sind Solar-, Wind- und Wasserenergie unverzichtbar. Doch werden diese Techniken den enormen Energiehunger der Welt in Zukunft stillen können? Allein in Deutschland dürfte der Stromverbrauch im Jahr 2030 mit 658 Terawattstunden rund 11 Prozent höher sein als 2018. Neue, massentaugliche und effiziente Techniken sind also gefragt. Große Hoffnung setzen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei langfristig in die Kernfusion. Wir beantworten die 5 wichtigsten Fragen zum Thema.
Was ist eine Kernfusion?
Von Kernfusion spricht man, wenn zwei Atomkerne zu einem größeren Kern verschmelzen (fusionieren). Je nach Art der Teilchen wird dabei Energie freigesetzt. Natürliche Kernfusionen laufen im Inneren von Sternen ab: Unsere Sonne beispielsweise gewinnt ihre enorme Energie ¬– unter einem Druck von 200 Milliarden Atmosphären und bei rund 15 Millionen Grad Celsius – aus der Verschmelzung von Wasserstoff zu Helium. Bei Kernfusionen können im Vergleich zur eingesetzten Masse große Mengen Energie freigesetzt werden – mehr als bei der Kernspaltung, die in klassischen Atomkraftwerken zur Anwendung kommt. Weltweit arbeiten Forscherteams bereits seit den 1950er-Jahren intensiv daran, das Prinzip der Kernfusion für die gezielte Energiegewinnung auf der Erde nutzbar zu machen.
Wie wird das Prinzip technisch umgesetzt?
Für eine Kernfusion im Labor werden normalerweise die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium eingesetzt. Isotope sind eine bestimmte Art von Atomen eines Elements. In einer Vakuumkammer – dem sogenannten Tokamak – wird das Teilchengemisch extrem stark erhitzt. In dem so entstandenen „Plasma“ können die Wasserstoffkerne miteinander verschmelzen. Herausforderung für die Kernfusion: Damit die jeweils positiv geladenen Atomkerne ihre gegenseitige Abstoßung überwinden können, sind in einem Tokamak Temperaturen von bis zu 150 Millionen Grad Celsius nötig. Da kein Material diesen Temperaturen standhalten und das Plasma bei einer Berührung mit der Kammerwand sofort abkühlen würde, wird das Plasma im Inneren des Tokamak durch Magnetfelder stabilisiert. Ziel ist es, ein stabiles, „brennendes“ Plasma zu erzeugen, in dem jeweils zwei Wasserstoffkerne zu einem Heliumkern fusionieren. Dabei entstehen einerseits Teilchen, die die Temperatur des Plasmas aufrechterhalten, andererseits wird Energie in Form von Neutronen freigesetzt. Theoretisch könnte so die anfänglich notwendige Energiezufuhr von außen im Laufe der Fusion stark verringert oder ganz abgeschaltet werden. Die Fusionsreaktionen würden damit insgesamt mehr Energie erzeugen, als von außen eingespeist wird.
Was spricht für die Energiegewinnung aus Kernfusion?
Schlagendes Argument für die Kernfusion ist das enorme Potenzial der Energieausbeute. Ein Beispiel: Bei der Kernfusion kann aus einem Gramm eines Wasserstoffgemischs theoretisch so viel Energie freigesetzt werden wie bei der herkömmlichen Verbrennung von acht Tonnen Erdöl. Noch ein Vorteil ist die Verfügbarkeit der Fusionsbrennstoffe: Deuterium ist in schier unerschöpflichen Mengen im Meerwasser zu finden, Tritium kann aus dem ebenfalls relativ häufig vorkommenden Lithium gewonnen werden. Auch Sicherheitsaspekte sprechen für die „neue Kernenergie“. Denn anders als bei Atomkraftwerken sind folgenschwere nukleare Unfälle ausgeschlossen, da es nicht zu einer unkontrollierten Kettenreaktion kommen kann. Zudem sind Deuterium und Helium selbst nicht radioaktiv und das radioaktive Tritium hat eine sehr kurze Halbwertszeit von 12,3 Jahren – eine kostenintensive Endlagerung ist daher nicht notwendig.
Wie ist der Stand der Technik?
Im vergangenen Jahr ist es einem Forscherteam von der US-Kernfusionsforschungseinrichtung National Ignition Facility (NIF) gelungen, Plasma zu zünden. Auch in Europa haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kürzlich einen Meilenstein für die Kernfusion erreicht: Im Dezember 2021 erzeugte ein Team am „Joint European Torus“ (JET) in Culham nahe Oxford in einem Fusionsexperiment aus Deuterium und Tritium ein stabiles Plasma, das über eine Dauer von 5 Sekunden Energie freisetzte – eine ungewöhnlich lange Zeitspanne. Denn eine der größten Herausforderungen ist es bis dato, das Plasma stabil zu halten – eine Voraussetzung dafür, dass Kernfusionsreaktoren über einen längeren Zeitraum einen Energieüberschuss erzielen können, also mehr Energie produzieren, als von außen für die Fusionsreaktion zugeführt werden muss. Dies ist bislang weltweit noch mit keiner Anlage gelungen.
Ab wann könnte es Fusionskraftwerke geben?
Im Rahmen des internationalen Forschungsprojekts „ITER“ (International Thermonuclear Experimental Reactor) wird im französischen Cadarache derzeit ein neuer Kernfusionsreaktor gebaut, der auf Basis von Deuterium-Tritium-Reaktionen ab dem Jahr 2035 erste Energieüberschüsse erzielen soll. Allerdings bleibt auch dieses Modell ein Forschungsreaktor. Energie aus Kernfusion für die Netzeinspeisung soll das Nachfolgermodell „Demo“ frühestens im Jahr 2050 produzieren.